In ihrem aktuellen Roman „Welten auseinander“ erzählt Julia Franck die Geschichte einer Künstlerinnenfamilie. Eine Familie, die ihre eigene ist. Sie erzählt von ihren drei Schwestern, die alle – außer ihrer Zwillingsschwester – von unterschiedlichen Vätern sind. Und sie erinnert sich an das Zusammenleben mit ihrer Mutter Anna, dass im Grunde kein Zusammenleben war, da diese einfach zu sehr mit „ihrem Leben beschäftigt war, mit sich selbst, ihren Tieren und Freunden.“ Und daiist einfach kein Platz für Kinder.

Demzufolge sind diese sich größtenteils selbst überlassen und wachsen mehr oder weniger verwahrlost auf – zunächst in Ost-Deutschland. Aber als dann endlich einer der zahlreichen Ausreisanträge der Mutter bewilligt wird, ziehen sie auf einen Bauernhof in einen kleinen Ort in Schleswig-Holstein.

Fürsorge und Aufsichtspflicht sind für Anna Fremdworte. Sie ist egozentrisch, egoistisch, gefühlsarm. „In ihren Anfällen brüllte sie und warf mit Gegenständen nach uns. Beim Malen und Basteln, mit den Tieren und in ihren Rollen beim Theaterspielen war sie glücklich. Wir mit unseren Ansprüchen und Wünschen waren ihr einfach zu viel“.

Wenn Julia das Dasein von sich und ihren Schwestern schildert, dann will und kann man das als Leser*in kaum glauben. Das Essen müssen sich die Kinder selbst beschaffen, die Kleidung aus der Rot-Kreuz-Kleiderkammer. Zeitweise werden die Zwillingsschwestern einfach zur Fürsorge in eine andere Familie gegeben. Neid und Streit gehören zur alltäglichen Tagesordnung. Um dieser leidvollen Umgebung zu entkommen, flüchtet sich Julia, beinahe fanatisch, in ihre Tagebucheintragungen

Doch mit 13 Jahren schafft es Julia mit Hilfe von Freunden der Familie endlich diesem Zuhause, für das sie sich zeit ihres jungen Lebens geschämt hat, den Rücken zu kehren und in Berlin ihr eigenes Leben aufzubauen.

„Ich war heilfroh und konnte mein Glück kaum fassen. Entkommen. Es sollte keinen einzigen Augenblick in meinem Leben geben, in dem ich meine Mutter oder meine große Schwester vermisst und zurück in das Chaos gewollt hätte.“

_____ Ich muss gestehen, erst im zweiten Ansatz konnte ich mich mit der Unmenge an Namen und Personen, die in die Handlung integriert wurden, arrangieren. Namen, die teilweise nur einmal  auftauchen, danach aber keinerlei Bewandtnis hatten. Umso näher ging mir dafür die ungeschönte Beschreibung der Familienmitglieder.

Der autofiktionale Roman erzählt vom Aufwachsen mit einer Mutter, die nie für die Kinder da ist und von Vätern, die der Bedeutungslosigkeit zugeordnet werden. Vom Alleinsein und Erwachsenwerden. Und das macht die Autorin mit unglaublicher Tiefenwirkung und – wie auch in „Die Mittagsfrau“ – ungemein bewegend und fesselnd, so dass man sich zum Ende des Romans nur sehr schwer von diesem tapferen Mädchen Julia trennen möchte. Fazit: Unbedingt lesen.

Autorin: Julia Franck (2011)
Foto: Mathias Bothor / photoselection
Das Foto ist honorarfrei für Pressearbeit und Werbung der S. Fischer Verlage.
Das Bild ist von Julia Franck autorisiert am 29.4.11

Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt ›Der neue Koch‹, danach ›Liebediener‹ (1999), ›Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen‹ (2000) und ›Lagerfeuer‹ (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman ›Die Mittagsfrau‹ erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 35 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien der Roman ›Rücken an Rücken‹ (2011).
Julia Francks Roman ›Lagerfeuer‹ wurde 2012/13 für das Kino unter der Regie von Christian Schwochow unter dem Titel ›Westen‹ verfilmt.

„Welten auseinander“ von Julia Franck I Erschienen im S. Fischer Verlag. 368 Seiten