Marian rechnet ab. Mit Oliver, ihrer langjährigen Beziehung; mit dem charismatischen Bruno, der es mit der Wahrheit nie so ernst nahm und mit ihrem früheren Leben. Aber am meisten mit sich selbst. Denn ihre einstmals so großen Zukunftspläne haben sich in Schall und Rauch aufgelöst. Wirtschaftskrise, falsche Männer, falsche Entscheidungen. Sie hat die Zeichen, die sie an den Rand des beruflichen und privaten Ruins gebracht haben, nicht erkannt oder besser gesagt, nicht erkennen wollte.

„Es war ihre Schuld, ihre Schuld, ihre große Schuld. (….) Sie hätte rechtzeitig abbremsen, ausgleichen, ausbalancieren können. Hättiwari. Wäre. Wuarscht. (…) Es ließ sich nichts mehr rückgängig machen.“

Als erfolgreiche Modedesignerin lebte sie ein Leben im Luxus. Weiße Eames-Chairs in der Küche, teure Antifalten-Creme, Putzfrau, Gärtner, Yogalehrer. Ihre Mode ausschließlich elegant und teuer. Ihre Lebensweise hochgradig anspruchsvoll.

„Sie hatte ihr Stammkaffeehaus neben dem Atelier gezwungen, ihr den Latte macchiato mit extra und nur für Marian angeschaffter garantiert laktosefreier Sojamilch zuzubereiten, weil es ihr einfach nicht möglich war, ihren Kaffee ganz ohne Milch zu trinken.“

Dann kam die Wirtschaftskrise und im Zusammenhang damit erhebliche Absatzprobleme. Hohe Schulden zwangen sie letztendlich ihre teure Dachterrassenwohnung aufzugeben und in eine Sozialwohnung zu ziehen. Aber auch das half nicht. Sie musste die Reißleine ziehen und aus ihrem bisherigen Leben aussteigen.

Nun haust sie wie eine Einsiedlerin, völlig mittellos, in dem altersfälligen Haus ihrer verstorbenen Tante außerhalb eines Dorfes am Waldrand und versucht irgendwie zu überleben. Sie klaut Maiskolben auf den Feldern des Dorfes und Hühner in den Nachbarsgärten. Sie wildert, sammelt Pilze und kocht Marmelade ein. Und während sie das tut, geht sie hart mit sich ins Gericht. Alles Sein und Tun – das von früher und das von jetzt – wird gnadenlos reflektiert. Und dabei erfährt der Leser nach und nach wie es zu dem Schicksalsschlag gekommen ist.

Der Roman „Wald“ von Doris Knecht verflicht zwei Handlungsebenen. Marian vergleicht ihr früheres Luxusleben als erfolgreiche Designerin und die damit einhergehenden Ansprüche mit ihrem jetzigen armseligen Dasein, in dem sie auch schon mal mangels Brennholzes fast erfriert. Diese gedankliche Gegenüberstellung macht sie schonungslos ehrlich, fast analytisch. Und genau dadurch wirkt die Protagonistin Marian so authentisch – ja, sogar sympathisch.

Die Thematik lässt sich schnell fassen. Selbstversorgung, einfaches Leben – allerdings gezwungenermaßen und auch nicht so, wie sich das Marian und ihre gutverdienenden Großstadtfreunde der Wiener Oberklasse vielleicht verklärt vorstellen. In dem Roman „Wald“ ist der Rückzug in ein Leben mit dem absoluten Minimum die einzige Chance, um den sozialen Abstieg kritisch zu reflektieren, um dann vielleicht sogar das Leben von vorne, aber unbedingt anders anzufangen.

„Man glaubt gar nicht, was man alles selber kann, dass man vorher nicht konnte. Oder glaubte, nicht zu können. Und deshalb wirklich nicht konnte, weil man vom Seelenheil über die Gesundheit und Fitness bis zur Nahrungszubereitung so viel wie möglich outsourcte.“

Kein Buch für mich … war mein erster Gedanke. Nämlich wenn Marian – die eigentlich mit richtigem Namen Marianne heißt, was ihr allerdings zu bieder ist – enervierend sämtliche Statussymbole ihres verlorenen Luxuslebens aufzählt. Oberfläche pur. Allerdings große Fehleinschätzung! Schon wenige Seiten später war klar, dass es um viel mehr geht. Hier hat jemand seine Identität verloren.

Bestand in der Vergangenheit das Leben von Marian aus einem Gefüge an Überflüssigem, so macht das Hier und Jetzt daraus verzichtbare Banalität. Übrig bleibt eine Frau, die zwar kämpft – aber nicht um das, was sie verloren hat, sondern um das, was eigentlich ein Leben ausmacht.

Fazit: ein sehr beeindruckendes Buch, intensiv, ungeschönt – aber echt. Große ehrliche Leseempfehlung.

„Wald“ von Doris Knecht. Erschienen bei Rowohlt Taschenbuch Verlag. 271 Seiten.

Klappentext

Eine Frau allein in einem abgelegenen Haus in den Voralpen: Marian hat alles verloren. Die Krise und eigene Fehler trieben sie in den Bankrott, zum völligen Rückzug. Aber auch ihr Versuch, im geerbten Haus wieder zu sich zu finden, wird zum Überlebenskampf. Mühsam lernt Marian, sich zu versorgen, sie fischt, sie wildert, stiehlt Hühner, und dann ist da Franz …

Foto geschützt. Copyright: Heribert Corn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Doris Knecht ist in Vorarlberg geboren. Seit 1988 Mitarbeiterin, dann von 1994-1998 stellvertretende Chefredakteurin der Stadtzeitung Falter. Nebenbei Mitarbeit bei der NZZ und als Kommentatorin bei der Presse. 1998-2000-Kulturredakteurin beim Magazin Profil. 2000-2002 Redakteurin beim Tagesanzeiger Magazin in Zürich. Ab 2002 freie Journalistin. Seit dem Jahr 2000 eine wöchentliche, nie unterbrochene Kolumne, die im Tagesanzeiger begann und bald in den Falter umzog. Ab 2003 Kolumnen für den Kurier, für Standard Rondo, Skylines und Railaxed. Seit 2010 regelmäßige Kolumnen für die Vorarlberger Nachrichten.

Seit 2011 schreibt sie Romane. Ihr erster Roman „Gruber geht“ (2011) war für den deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Für ihren vielgelobten Nachfolger “Besser“ (2013) erhielt Doris Knecht den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.