Errol Hagedorn ist ein ruhiger und sehr respektvoller Mensch. Wenn man ihn trifft hat er immer ein Lächeln im Gesicht und sein gesamtes Verhalten spiegelt eine ausgewogene Lebensform wider. Unsere Begegnungen fanden bislang lediglich aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Installations- und Umwelttechniker statt – entweder um im jährlichen Rhythmus das Klärwasser zu analysieren aber auch schon mal, wenn das Wasser nicht aus dem Hahn kommt sondern sich einen anderen Austrittsort gesucht hat. Aber selbst dann bewahrt Herr Hagedorn sein Gleichgewicht und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Irgendwann einmal, zwischen dem Abdichten von Leitungsrohren und dem Erstellen von Wasseranalysen, hat er mir verraten, dass er in seiner Privatzeit zu den Gottesdiensten in der Kirche Freiburg oder Balje Orgel spielt – und zwar Pfeifenorgel. Aber nicht nur das. Jedes Jahr zu Weihnachten spielt er im Altenheim Schloss Holenwisch, um den Menschen mit hohem Hilfsbedarf einfach eine Freude zu machen. Was sagt man dazu? Nachdem ich also zunächst sprachlos und danach beeindruckt war, wollte ich mehr wissen. Wie kommt man auf die Idee Pfeifenorgel zu spielen. Zumal diese „Königin der Instrumente“ physisch als auch akustisch eng mit einem großen Raum verbunden ist – meistens mit einer Kirche. Und welche Umstände haben dazu geführt, dieses faszinierende aber auch unglaublich schwierige Musikinstrument zu erlernen.

Während der diesjährigen Ostertage fand ein kleines Orgelkonzert in der St. Wulphardi-Kirche in Freiburg statt zu dem mich Errol Hagedorn eingeladen hatte. Der perfekte Ort, um mir auf meine „Wieso-und-warum-Fragen“ Rede und Antwort zu stehen. Also bin ich am Karfreitag in das kleine Städtchen Freiburg gefahren, wo im historischen Ortskern die evangelisch-lutherische St. Wulphardi Kirche aus dem Jahre 1837 steht – eine denkmalgeschützte, architektonische Sehenswürdigkeit.

Schon kurz nach dem Betreten der Kirche, wo im Eingang die Pastorin die Besucher begrüßt, kommt mir mit leichten Schritten Herr Hagedorn entgegen und weist mir auf seine freundlich-unaufgeregte Weise einen Platz in den weit auseinandergestellten Sitzbänken zu. Leider wird er selbst heute nicht die Orgel spielen, sondern seinen Aufgaben als Kirchenvorsteher und Küster dieser Kirche nachkommen. Ich gestehe, dass ich aufgrund der Corona-Situation anfangs ziemlich zurückhaltend auf seine Einladung reagierte. Aber, wie schon beschrieben, Herr Hagedorn ist nicht nur Organist sondern auch Techniker. Und so erklärt er mir, dass ein neues Heizungssystem mit gekoppelter Lüftungsautomatik in dieser Kirche nicht nur für warme Füße, sondern auch für eine ständige Luftzirkulation im gesamten Kirchenraum sorgt. Und ergänzend bekam ich einen Tag vor dem Konzert eine kurze WhatsApp von ihm mit dem Satz: „Ich passe auf Sie auf“. Und das sagt doch bereits schon viel über einen liebenswürdigen Charakter aus.

In seiner Funktion als Küster ist er bei der heutigen musikalischen Andacht unter anderem für das rechtzeitige Läuten der Kirchenglocken zuständig und während diese den Beginn der Messe ankündigen, wandert mein Blick durch den Innenraum dieser spätklassizistischen Kirche mit der umlaufenden Empore und dem darin integrierten, imposanten Kanzelaltar. Und ich bestaune die in kräftigen Farben aufwändig bemalte Voutendecke.

Dann setzt das Orgelvorspiel ein und die musikalische Andacht mit Choralbearbeitungen von Johan Sebastian Bach beginnt. Die Töne der aus dem 16. Jahrhundert stammenden Pfeifenorgel füllen das Kircheninnere mit seinen nur wenigen Besuchern wunderbar klangvoll aus. Nach einer kleinen Stunde endet das Konzert mit einem eindrucksvollen Orgelnachspiel und dem Kanzelsegen löst sich der kleine Zuhörerkreis auf und wird, wie bereits bei der Ankunft, nach einem sorgfältigen Ablauf aus der Kirche herausgeführt. Nur ich bleibe auf meinem Platz und warte darauf, dass Errol Hagedorn – nachdem er seinen Verpflichtungen nachgekommen ist, einen kleinen Augenblick für mich Zeit hat, um mir noch ein wenig mehr von sich und seiner Leidenschaft für das Orgelspielen erzählt.

Bis zu seinem 50. Lebensjahr hat er in Freiburg gelebt. Dort ist er auch geboren – und zwar in seinem damaligen Elternhaus, das direkt neben der Kirche stand. Und so wundert es nicht, dass der junge Errol bereits mit 10 Jahren das Orgelspiel entdeckte. Sonntag für Sonntag, so erzählt er mir, war er in der Kirche, um mit größter Faszination dem Organisten oben auf der Empore beim Orgel spielen zuzusehen.

Die Familie väterlicherseits kommt aus der Region um Freiburg herum und lebt seit Generationen dort. Und genau wie er selbst sind auch seine eigenen Kinder in Freiburg aufgewachsen und groß geworden. Nur einmal, während seiner Zeit bei der Marine, hat er für eineinhalb Jahre in Kiel gewohnt – und wäre fast dort geblieben, weil ihm die maritime Stadt am Wasser so unglaublich gut gefallen hat. Doch der Tod seines Vaters holte ihn letztendlich wieder in seine Heimat zurück, da er seine Mutter nicht allein mit dem Haus und seinen beiden jüngeren Geschwistern lassen wollte.

Seitdem lebt er dort wo seine Wurzeln sind. Erst vor wenigen Jahren ist er von Freiburg in den 10 km-entfernten Ort Wischhafen gezogen. Sein Haus liegt ganz nah an einem idyllisch gelegenen Bracke-See, wo er oft Spaziergänge unternimmt und ab und zu wunderschöne Landschaftsbilder fotografiert, um sie auf seinem Instagram-Account zu posten. Seine Ausgeglichenheit findet er – neben der Musik – in der täglichen Meditation und wenn er mal auf Reisen geht, dann gehört zu seinem Lieblingsziel die Insel Ibiza, weil die Insel auf ihn sehr spirituell wirkt.

Auf die Frage, ob er denn nicht irgendwann überhaupt mal daran gedacht hat das Landleben gegen ein Leben in der Stadt auszutauschen, lächelt er und antwortet: die Stadt ist schön für zwischendurch aber hier auf dem Land genieße ich meine Ruhe, die gute Luft, die Apfelblüte und vor allen Dingen die Natur. Das würde ich gegen nichts eintauschen.

Das Kurz-Interview mit Errol Hagedorn sowie ein kleiner Ausschnitt aus dem Orgelvorspiel nachfolgend als Audioaufnahme.