Seit sieben Generationen betreibt die Familie Leeb einen landwirtschaftlichen Hof. Vor 300 Jahren von dem streng gläubigen Wilhelm August Leeb an eine christliche Mission verschenkt, müssen die darauffolgenden Generationen den Rückkauf des Hofes mit harter Arbeit schultern.
Im Mittelpunkt dieses Familienromans steht der Großbauer und überzeugte Nazi Wilhelm Leeb und seine Konflikt-Beziehung zu seinem Sohn Wilhelm, genannt auch Willem. Dieser hat von klein auf an einen schwierigen Stand bei dem Vater, der ihn ständig kritisiert, schikaniert. Dabei möchte er nur, dass der strenge Patriarch stolz auf ihn ist.
„Du bist doch ein Leeb, also reiß dich zusammen! Was willst Du denn machen, wenn du in der Hitlerjugend bist? Da nimmt man dich hart ran. Meinst du denn, du könntest dich ewig unter Rockschößen verkriechen?“ (Zitat)
Obwohl Leeb sen. als Landwirt im zweiten Weltkrieg auf seinem Hof hätte bleiben könnte, meldet er sich freiwillig und wird in der besetzten Ukraine als Landwirtschaftsführer eingesetzt, wo er als hochrangiger Offizier seine Profilsucht selbstüberschätzend auslebt.
„Ob zerbombte Städte, niedergebrannte Dörfer, Panzerwracks oder Tote, nichts konnte seine Stimmung trüben, denn Wilhelm Leeb sah sich als Teil eines gewaltigen historischen Ereignisses – die Wehrmacht bahnte ihm den Weg“. (Zitat)
Doch wie so viele andere auch gerät er in Kriegsgefangenschaft, aus der er erst nach einigen Jahren auf den Hof zurückkehrt. Obwohl seine Frau Käthe und die Kinder während seiner Abwesenheit hart gearbeitet haben, wird dieser Kraftakt von dem dominanten Vater überhaupt nicht gewürdigt. Stattdessen arbeitet er seine Machtneurosen, die während der Gefangenschaft demütigend unterdrückt wurden, an der Familie – vorrangig an seinem Sohn Wilhelm – ab. Bis sich eines Tages eine Tragödie anbahnt.
„Mitgift“ ist eine Familienchronik vor dem Hintergrund einer ländlich-bäuerlichen Welt des 20. Jahrhunderts. Geprägt durch Härte und Gewalt über sieben Generationen hinweg, gilt es ohne Rücksicht auf Verluste das Familienerbe zu wahren. Da werden persönliche Wünsche und Talente, die nicht mit der Bewirtschaftung des Hofes in Einklang zu bringen sind, rücksichtslos unterdrückt.
Henning Ahrens hat seinen Roman nicht chronologisch, sondern auf unterschiedlichen Zeitebenen in Short-Cuts-Form geschrieben. Anfangs eventuell etwas gewöhnungsbedürftig, denn es braucht eine kleine Leseweile, bis sich die unterschiedlichen zeitlichen Handlungsstränge und die jeweiligen Familienereignisse – alle Söhne tragen den Namen Wilhelm – einordnen lassen.
Hilfreich dabei ist die sogenannte Totenfrau Gerda Derking, die Bestatterin des Dorfes und frühere Jugendliebe des Patriarchen. Sie wurde von ihm zugunsten von Käthe sitzen gelassen, weil sie keine Mitgift in die Ehe hatte bringen können. Gerda erzählt und kommentiert nach und nach die Vorkommnisse, was sich wie ein „roter Faden“ durch den Roman zieht.
„Mitgift“ ist ein autobiografischer Roman. Der beschriebene Hof in Klein Ilsede war die Heimat des Autors Henning Ahrens, der Nazi war sein Großvater. Die Geschichte ist seine Geschichte.
Klappentext: Gerda Derking kennt sich aus mit dem Sterben. Seit Jahren richtet sie die Toten des Dorfes her, doch in jenem August 1962 würde sie die Tür am liebsten gleich wieder schließen. Denn vor ihr steht Wilhelm Leeb – ausgerechnet er, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Wilhelm, der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft aus Polen zurückkehrte. Der gegen Frau und Kinder hart wurde, obwohl sie jahrelang geschuftet hatten, um Hof und Leben zu verteidigen. Doch nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Und Gerda Derjking ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen. In seiner epischen Familienchronik rückt Henning Ahrens den Verwundungen des vergangenen Jahrhunderts aus den Leib und erzählt ebenso mitreißend wie empathisch vom Verhängnis einer Familie.
Der Autor: Henning Ahrens ist 1964 in Niedersachsen geboren, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt. Er übertrug unter anderem die Werke von Jonathan Safran Foer, Colson Whitehead, Meg Wolitzer und Richard Powers ins Deutsche. Für sein literarisches Werk erhielt er mehrere Auszeichnungen, zuletzt erschien 2015 „Glantz und Gloria. Ein Trip“, das mit dem Bremer Literaturpreis geehrt wurde.
„Mitgift“ von Henning Ahrens ist 2021 im Klett-Cotta-Verlag erschienen. 340 Seiten. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021.