Freitagabend. Rein ins Auto und raus aus der Stadt, in der die Arbeitswoche den Tagesrhythmus vorgibt. Weg vom Lärm und schlechter Luft. Vier Stunden später: Felder, Wiesen, Natur – und drumherum nichts.

In dieser Regelmäßigkeit bin ich von NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland (526 Einwohner pro km²), 400 km Autobahn gefahren, um in das niedersächsische Kehdingen (52 Einwohner pro km²) zu kommen. Pendeln zwischen zwei Welten. Ein Leben zwischen Stadt und Land.

So sahen die Wochenenden aus nachdem wir uns im Kehdinger Land – genannt auch Zwei-Stromland zwischen der Elbe und der Oste – unseren Resthof gekauft haben. Der Hof liegt an einer einfachen Verbindungsstraße zwischen zwei Ortschaften und ist Teil einer kleinen Streusiedlung, die aus wenigen Höfen besteht. Zwei davon werden noch landwirtschaftlich betrieben.

Im Laufe der Jahre, so nach und nach, wurden die Wochenenden auf dem Land immer länger und die Woche in der Großstadt immer kürzer. Meine Selbständigkeit gab mir die Möglichkeit meinen Beruf auch in dem zutiefst ländlich geprägten Kehdingen auszuüben. So wurde der eigentlich anfänglich geplante Wochenend-Rückzug-aufs-Land immer mehr zu einem täglichen Landleben-Leben.

Naturnähe und Entschleunigung waren die Hauptantriebsfeder für den Rückzug an einen Ort, der außer Felder, Wiesen und weit auseinander liegenden Höfen nichts zu bieten hat. Das kann man positiv oder negativ sehen – kommt immer darauf an, in welchem Rateteam man spielt. Für mich war es ausschlaggebend, dass in der ländlich geprägten Region wie der unsrigen genau das fehlt, was die Stadt im Überfluss hat: Autostaus, Flugzeuglärm, Menschengedrängel, schlechte Luftqualität und Hektik. Aber realistisch bleiben! Es fehlt auch der Italiener oder das trendige Internet-Café um die Ecke; weit und breit kein Bäcker in Fussnähe, um Sonntagmorgen schnell mal vor dem Frühstück frische Brötchen zu holen oder der kleine Supermarkt in der Nähe, der einen ‚rettet‘, weil kein Tee oder Kaffee mehr im Hause ist. Keine Bushaltestelle vor der Tür, von einer Straßenbahn ganz zu schweigen.

Stattdessen viel Platz, keine Hektik und Natur bis zum Abwinken. Der Nachbarhof zur rechten Seite liegt ungefähr 400 Meter entfernt. Kein Risiko, dass mir der Nachbar in das Fenster reinschaut. Und wenn im Hochsommer beim Nachbarn Grillen angesagt ist, kann ich trotzdem den Abend in meinem Garten ohne den Rauch und Qualm „von nebenan“ genießen. Oder ich muss auch nicht den lautstarken nachbarlichen Austausch im Kreis der Freunde zum letzten 11-Meter-Schießen über mich ergehen lassen.

Und wenn ich doch mal mit dem Nachbarn ein paar Worte schnacken möchte? Dann schwinge ich mich auf das Fahrrad und fahr einfach kurz zu ihm rüber. Auf dem Weg dorthin begegnen mir manchmal, entweder im Auto, auf dem Trecker oder zu Fuß andere Dorfbewohner oder Leute aus der Umgebung, die ich vom Sehen her kenne. Doch statt aneinander vorbeizufahren bleibt man/frau stehen und begrüßt sich, redet ein bisschen über dies und das, schnackt auch mal über die (anderen) Nachbarn, die (anderen) Bauern, über die Jäger oder wie die Wetterlage ist.

Eine ziemlich gemütliche, aber in der hektischen Lebensweise der Stadt eine eher verlorengegangene Manier, an die ich mich aber aus meinen früheren Jugend- und Dorfjahren noch sehr gut erinnere. Einfach nur aneinander vorbeigehen … geht gar nicht. Das ist nicht nur unhöflich, sondern könnte auch als arrogant angesehen werden. Muss man wissen.

Gerade oder besonders als sogenannter „zugezogener Städter“. Da sollte man nicht, wie es in dem Buch von Juli Zeh „Unterleuten“ so treffend formuliert wird „mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten“. Aber auch die Alteingesessenen müssen der Realität ins Auge sehen: Weil immer mehr Menschen – aus unterschiedlichen Gründen – das Stadtleben gegen das ländliche Leben tauschen, wird es immer mehr Menschen geben, die, wenn sie dort angekommen sind, auch ihre Vorstellungen vom Miteinander formulieren und ausleben.

„Neue Ländlichkeit“ nennt das Dr. Wolf Schmidt, promovierter Historiker, in seinem Buch Luxus Landleben und beschreibt darin den „… Trend, ohne jegliche wirtschaftliche Bindung an die klassische Land- und Forstwirtschaft, eine zeitgemäße Form des Landlebens zu verwirklichen.“ Und er führt weiter aus: „Neue Ländlichkeit bezeichnet mehr als bloß die Tatsache, dass viele Menschen noch, wieder oder künftig vielleicht häufiger auf dem Lande wohnen. Es geht um einen Lebensentwurf, der Menschen veranlasst, auf das Land zu ziehen oder dort wohnen zu bleiben, obwohl sie dort nicht durch Haupterwerb in Land- und Forstwirtschaft gebunden sind .“

 

Auf mich bezogen: Ich habe null mit Landwirtschaft zu tun – weder hauptberuflich noch im Nebenerwerb. Ist auch nicht in der Planung. Aber natürlich findet Landwirtschaft, auch wenn ich nichts mit ihr zu tun habe, um mich herum statt. Zumal gerade die Region, in der der Resthof steht, sehr ländlich geprägt ist von Maisanbau, Grünlandwirtschaft und/oder (im besten Falle) Kühe in Weidehaltung. Ich ziehe daraus meinen Nutzen, denn zu den geschilderten ländlichen Tätigkeiten gehören ausgedehnte Ländereien. Und die wiederum erlauben mir stundenlange Spaziergänge über Felder und Koppeln, bisweilen lediglich an Belanglosigkeit verbreitenden und müßig kauenden Kühen vorbei und sonst weiter nichts als Natur.

 

Aber jede Medaille hat zwei Seiten. Diese unendlich weiten Ländereien müssen auch bearbeitet werden. Das bedeutet nächtliche flutlichtbestrahlte Felder, die mit gewaltigen Traktoren gemäht oder abgeerntet werden – unbeeindruckt von Sonn- oder Feiertagen. Und was danach kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche: die Gülleausbringung. Und klar, die kommt meistens, wenn man gar nicht daran denkt. Aber davon das nächste Mal mehr :-).