Schafe, Natur, unbarmherziges Wetter – das ist Shetland. Der schottische Autor Malachy Tallack ist auf dieser Insel aufgewachsen, kennt ihren Rhythmus, kennt das Leben dort. Und hier spielt sein Debütroman „Das Tal in der Mitte der Welt“ – in einem Mikrokosmos eines abgelegenen Tales mit nur einer Handvoll Menschen.

Genau um diese geht es in seinem ruhigen, fast entschleunigenden Roman. Um Sandy, der eine neue Heimat sucht, weil Emma ihn verlassen hat. Alice, die nach dem Tod ihres Mannes hier Zuflucht sucht. Terry, der die Vergangenheit im Alkohol ertränkt. Jo und Ryan, die der Stadt den Rücken gekehrt haben und schlussendlich David, der sein ganzes Leben in diesem entlegenen Tal verbracht hat, wie sein Vater und sein Großvater und der mit seiner Frau niemals woanders leben möchte.

Wolken, Meeresrauschen und Gedanken, die wie Wellen kommen und gehen. Es passiert nicht viel, hier in der Mitte der Welt. Die Inselbewohner sind mit sich beschäftigt, ihre Lebensweise ist geprägt von dem Leben ganz nah an der Natur. Aber genau das macht dieses Buch aus. Tallack beschreibt das Alltägliche, die Sorgen und Gefühle der Menschen, die hier leben. Das macht er mit sehr viel Feingefühl und Dichte. Dabei blickt er tief in ihre Seelen und lässt jedem Charakter seine eigene Geschichte zuteilwerden.

Umrahmt von wunderschönen Inselbeschreibungen, greift er in einem sehr leisen Erzählton die großen Themen wie Tradition und Erinnerung, Festhalten und Loslassen, Zufriedenheit und Verlust auf. Denn auch hier in der Zurückgezogenheit, lässt sich der Rest der Welt nicht aussperren. Gerade das treibt David, den ältesten der nur noch wenigen Bewohner, um. Für ihn ist das Tal sein Leben, er ist verwachsen mit diesem Stückchen Land und der Landschaft. Doch am Ende des Buches stellt sich die Frage, ob es David und den anderen Menschen um ihn herum gelingt, dieses Fleckchen Erde weiterhin für sich zu bewahren. „Dieses Tal formte seine Gedanken. Oft war es seine Gedanken. Sein Gefälle, der sanfte Schwung der Landschaft. Irgendwie spiegelte es sich in ihm. Es war ein Teil von ihm, und er konnte diesen Ort genauso wenig verlassen, wie er ein anderer Mensch sein konnte.“ (S. 42)

Was braucht man, um glücklich zu sein? Für mich ist dieser Roman eine sehr behutsame Antwort darauf: Wenn man den Ort gefunden hat, der einen glücklich und zufrieden macht, dann braucht es nicht viel, um ein erfülltes Leben zu führen.

Klappentext : Shetland – das heißt Schafe und Natur, unbarmherziges Wetter, enge Bindungen und althergebrachte Lebensweisen. Hier, in dem Tal auf einer kleinen Insel, hat David sein ganzes Leben verbracht, wie vor ihm sein Vater und sein Großvater. Hier will Sandy eine neue Heimat finden, hier hat Alice nach dem Tod ihres Mannes Zuflucht gesucht. Aber die Zeiten ändern sich, Menschen sterben oder ziehen weg, und David fragt sich, wie die Geschichten und Traditionen seines Tals weitergeführt werden sollen, während andere zweifeln, ob sie jemals dazugehören werden. Im Wind und der gleißenden Sonne und den Stürmen vom Atlantik bietet das Tal auf dieser abgelegenen Insel Gemeinschaft wie Einsamkeit, es liegt an den Menschen, sich zu entscheiden. Und der schottische Autor Malachy Tallack, der in Shetland aufgewachsen ist, kommt den Menschen hier sehr nahe, auf vollkommen unspektakuläre Art. Sein beeindruckender Debütroman zeigt: Die Geschichte des kleinen Tals birgt die ganze Welt.

„Das Tal in der Mitte der Welt“ von Malachy Tallack. Erschienen bei Luchterhand. Übersetzung von Klaus Berr. 381 Seiten.

© Craig Colahan
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Über den Autor : Malachy Tallack ist Schriftsteller, Singer-Songwriter und Journalist. 2014 gewann er den New Writers Award des Scottish Book Trust und 2015 die Robert Louis Stevenson Fellowship. Mit seinem ersten Buch »60 Grad Nord« kam er auf die Shortlist des Saltire First Book Award, das zweite, »Von Inseln, die keiner je fand«, wurde 2016 bei der Verleihung der Edward Stanford Travel Writing Awards als Illustrated Travel Book of the Year ausgezeichnet. Beide Bücher beschäftigen sich mit Nature Writing, Geschichte und Memoir. Sein Debütroman »Das Tal in der Mitte der Welt« kam 2018 auf die Shortlist des Highland Book Prize und wurde für den Royal Society of Literature Ondaatje Prize nominiert. Malachy Tallack ist in Shetland aufgewachsen und lebt zurzeit in Dunblane.