Was machen ländliche Orte mit den Menschen, die schon seit Generationen dort leben und was wird aus ihnen, wenn sich diese Orte in der Gegenwart verlieren?

In dem Roman „Bergland“ versucht die Schriftstellerin Jarka Kurbsova eine Antwort auf diese Frage zu finden. Dafür ist sie selbst auf einen Bauernhof in einen kleinen Südtiroler Bergort gezogen, um die Geschichte einer Bergbauernfamilie über drei Generationen zu erzählen.

Da ist Rosa, die nach dem Tod ihres Vaters Josef Breitenberger den entlegenen Hof in Tiefenthal übernimmt, weil Bruder und Mann im Krieg dienen. Auf 1670 Meter trotzt die junge Frau der unerbittlichen Natur – bis zur Selbstaufgabe. Ihr Sohn Sepp hingegen lehnt das altruistische Dasein seiner Mutter ab. Er will den Hof gegen ihren Willen und entgegen aller bisherigen Erfahrungen modernisieren. Und dann ist da noch Hannes, der Enkel von Rosa, und seine Frau Franziska. Bei ihnen ist die tief bröckelnde Tradition bereits angekommen, doch Franziska versucht verzweifelt das jahrhundertealte Erbe als „Pseudo-Bauernhof“ zu retten.

Sehnsucht, Zweifel und Verantwortung als Antriebsfedern einer Lebensweise, die in Kubsovas Roman aus unterschiedlicher Perspektive und in unterschiedlichen Erzählebenen beschrieben wird. Zwei starke Frauenfiguren, die sich beide den Herausforderungen stellen und sie auf unterschiedliche zeitgenössische Weise annehmen. Ein Sohn und ein Enkel, die den traditionellen Aspekten nicht mehr standhalten können und sich entschließen neue Wege zu gehen.

„Bergland“ zeigt auf, dass ein historisches Erbe schwerer wiegt als eigene persönliche Bedürfnisse. Rosa als auch Franziska halten trotz aller Widrigkeiten an ihrem Leben fest. Und obwohl sie beide die Möglichkeit hatten, das Dorf zu verlassen, bleiben sie. Für sie ist Tiefenthal mehr als ein Hof in den Bergen. Tiefenthal ist ihre Heimat und der Ort, wo sie ihre Wurzeln geschlagen haben.

„In langen, aber vorsichtigen Schritten, den Rücken gerade, warf sie das Korn aus, mit einem Schwung, der perfekt war. Keiner von ihnen sagte etwas, aber alle sahen es genau. Sie schritt über die Erde wie eine Bäuerin.“

Klappentext

Auf 1670 Meter Höhe gelegen ist der Innerleit der höchste Hof im Südtiroler Tiefenthal. Als dort im Jahr 1944 nach dem Tod des alten Josef Breitenberger dessen Tochter Rosa übernimmt, glaubt kaum einer im Ort, dass sie es schaffen kann. Doch im Leben von und mit der Natur findet Rosa ihre Bestimmung und hält an ihrem Hof in den Bergen fest, selbst als sich die Möglichkeit bietet, anderswo ein weniger einsames, leichteres Leben zu führen. Zwei Generationen später sind Rosas Enkel Hannes und seine Frau Franziska auf Feriengäste angewiesen, um das jahrhundertealte Erbe des Hofes zu erhalten. Doch auch wenn es für Touristen so aussehen mag: Das Leben auf dem Innerleit ist kein Postkartenidyll. Und mit den neuen Problemen taucht eine alte Frage wieder auf: gehen oder bleiben?

Interview Jarka Kubsova (Goldmann Verlag)

2019 zogen Sie für sieben Monate auf einen Hof in den Bergen. Wie kam es dazu?

Bei einem früheren Aufenthalt in einem Hochtal in Südtirol hatten Landschaft und Menschen einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Damals war in mir der Wunsch gewachsen, gemeinsam mit meinem Sohn noch vor seiner Einschulung an einem Ort zu leben, der inmitten der Natur liegt. Der Ort heißt Ultental. Es ist waldreich, es gibt Almen und Wildbäche und kaum Tourismus. Viele der Menschen leben von der Berglandwirtschaft. Die Höfe sind oft Jahrhunderte alt und befinden sich in luftigen Höhen.

 

„Bergland“ handelt von drei Generationen. Was verbindet diese drei?

Es sind starke, eigenwillige Charaktere, die vor dem Hintergrund der Verhältnisse ihrer Zeit darum ringen, die Existenz des Hofes zu sichern. Jede dieser Figuren kommt an den Punkt, an dem sie sich fragen muss, ob und unter welchen Bedingungen sie an ihrer Heimat festhalten will. Also: gehen oder bleiben?

 

Ein zentrales Thema Ihres Romans ist die Rolle der Frau …

Ich empfinde einen tiefen Respekt vor der Leistung der Frauen auf diesen Höfen. Frauen übernahmen ganz selbstverständlich Männerarbeiten wie Heuen, Ackern oder Umstechen, und waren außerdem zuständig für Kindern – derer es damals oft sehr viele gab –, Küche und Wäsche. Mein Eindruck ist, dass die Frauen trotz ihrer enormen Leistung weitestgehend unsichtbar geblieben sind. Das liegt sicher auch an der Bescheidenheit dieser Menschen, aber eigentlich haben sie ein Denkmal verdient.

Fotorechte:
Foto von Jarka Kubsova
©Christoph Niemann

 

Jarka Kubsova wurde 1977 in Tschechien geboren, seit 1987 lebt sie in Deutschland. NachStudium und Volontariat in Hamburg arbeitete sie bei der „Financial Times Deutschland“, beim „Stern“ sowie bei der „Zeit“. Sie ist Ghostwriterin und Co-Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher. Für ihr Romandebüt „Bergland“ lebte Jarka Kubsova sieben Monate lang auf einem Bergbauernhof in Südtirol.

 

„Bergland“ v Jarka Kubsova. Erschienen bei Goldmann Verlag. 284 Seiten.