Von dem einen romantisiert von anderen belächelt: das Leben auf dem Land. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Was man braucht ist Pragmatismus und Eigeneinsatz wenn’s mit dem Traum im Grünen was werden soll.

Als ich meine Unterschrift unter den Vertrag setzte, ahnte ich nicht auf was ich mich da einließ. Mir gehörte nun eine alte Schule (200 Quadratmeter, fünf Zimmer, 2 Flure, Baujahr 1895) und fast ein halber Hektar Land mitten in der Oste-Marsch, 80 Kilometer vor den Toren Hamburgs. Das Land ist platt und dünn besiedelt, die Himmel hoch und weit. Weißrindige Birken und greise Weiden an den Wegrändern und tausende Wettern, Kanäle und Gräben halten das Land leidlich trocken. In den Büschen zirpen Zaunkönige, Störche stochern nach Wassergetier und hoch im Blau rüttelt der Falke. Ich war total begeistert. Nach dreißig Jahren in verschiedenen Europäischen Metropolen hatte ich die Nase voll von Stadtstress, Verkehrschaos und Asphaltdschungel. Kino, Kneipen und Kunsthallen waren mir zunehmend wurscht.

Ich wollte meine Hände in die schwarze Erde buddeln, zwischen blühenden Rabatten in der Hängematte schwingen, Erdbeeren für Marmelade ernten und herrlich kuschelige Abende vor dem Kamin verbringen. Und endlich einen Hund unterm Rhododendron buddeln sehen. Nun endlich war mein Traum vom Glück im Grünen zum Greifen nah. Kein Vermieter würde mich je wieder mit Raufaser und Mieterhöhungen quälen, nie wieder geruchsintensive Schuhparaden im Hausflur. Und das Beste: immer ein Parkplatz direkt vor der Tür.

Der Besuch eines befreundeten Architekten und meine Exceltabelle katapultierten mich jäh in die Realität. Meine neue Alte Schule hatte mehr Zuwendung nötig als nur ein bisschen Wandgestaltung. Und erst der Garten! Er glich einem Acker, den die Maulwürfe intensiv mit Hügeln verziert hatten – von blühenden Rabatten und Hängematte keine Spur. Zur Stimmungsaufhellung pflanzte ich erst einmal einen Apfelbaum. Ein Krösus hätte mit Interior Designer, Baufirma und Landschaftsgärtner alles in kurzer Zeit „de luxe“ renovieren lassen und schwupps: ein paar Monate später wäre er in seinen Landtraum eingezogen. Mein Kassensturz zeigte eindeutig, dass ich kein Krösus war und also musste meine Devise lauten: Do it yourself! Baustoff Kataloge, Selber-Machen-Handbücher und Broschüren aus dem Landhandel ersetzten meine Modemagazine, statt im Nacht-Club verbrachte ich Nächte im Internet: Baublogs erklärten mir warum Kalk besser war als Gips an der Wand, wie Dielen richtig verlegt werden oder wie ich marokkanische Tadelaktwände mache.

Baumärkte statt Boutiquen waren ab sofort meine Eventlocation. Ein Kurs für die Handhabung von Handkreissäge und Schlagbohrmaschine gab mir den ersten Einblick ins Baugewerbe. „Wissen ist Macht!“ aber beim Renovieren alter Gemäuer geht’s nicht ohne Muskelkraft. Ich brauchte Männer: Maurer, Putzer, Zimmerleute. Am besten den Alleskönner, der mehrere Gewerke verstand. Woher nehmen? Nachbarn fragen!

Auf dem Land wird Nachbarschaftshilfe großgeschrieben, aber wie ich bald feststellen musste nur unter Ureinwohnern. Meine Antrittsbesuche versetzten sie eher in Unruhe. War ich doch die komische Frau (ohne Ehemann!) aus der Stadt, die ausschließlich hochdeutsch sprach. Davon hatten sie schon einige gesehen, solche blieben meist nicht lange! Von meinen Mitbürgern, alles alteingesessene Marschenbewohner, hatte ich also zunächst wenig Unterstützung zu erwarten. Sie gaben sich höflich schweigsam, beobachteten aber ganz genau was ich trieb. Die Trecker, Fahrradfahrer und Kleinwagen verlangsamten auf Schrittgeschwindigkeit, wenn sie bei mir vorbeifuhren. Guckte ich hin, winkte gar, trat man aufs Gaspedal. Schnell musste ich lernen, dass Akzeptanz hier mit Mund halten zusammenhing. Beschwerden über Güllegestank, Grenzüberlagernde Silagelager, kritische Fragen über die Stallhaltung vom EU-subventionierten Milchvieh oder gar Protest gegen Geld bringende Windparks und Maulerei über Maisplantagen für Biogas, kam nicht gut an. Verzichtet man (zunächst) darauf, empfehlen sie der Neuen auch bald mal ein paar Bauarbeiter.

Einsatz und Charakter ist das was zählt.

Wenn der Landmann erkennt, dass die Verrückte nebenan nicht zimperlich und selbst mit anpackt, Zaunpfähle mit dem Riesenhammer einschlägt, Erde bewegt wie ein Minibagger und mit polnischen Gummistiefeln bei jedem Wetter im Garten wühlt, dann wächst das Interesse. Und wenn die Männer vom Bautrupp erzählen, dass „die“ sich beim Putzabschlagen der Wände nicht dauernd auf die Finger kloppt, dass „die“ nach drei Monaten selber Popo glatte Wände fertigen kann, eine passable Mauer mauert und die Fenster kitten gelernt hat, dann kommt sogar so etwas wie Achtung hinzu. Beim Vorbeifahren wird plötzlich gegrüßt, vielleicht sogar angehalten auf ein Schwätzchen über Spätfröste („hier bi uns von Johanni bis Johanni“) und das beste Mittel gegen Wühlmäuse (Katzenpisse!). Geschafft hatte ich es, als meiner Bitte entsprochen wurde, doch erst nach der Abreise des Osterbesuchs Gülle zu fahren und nicht wie üblich die ganze Woche vor Karfreitag.

Fünfzehn Jahre sind jetzt um. Meine Alte Schule ist noch lange nicht fertig, was kein Schicksal ist, sondern Spaß für viele weitere Jahre. Es gibt Schlaf und Gästezimmer und ein Bad, von dem behauptet wird, es wäre das schärfste zwischen Buxtehude und Cuxhaven. Natürlich eine funktionable Küche, in der jeden Sommer Batterien von Gläsern mit selbstgemachten Marmeladen gefüllt werden. Die Rabatten draußen blühen leidlich, sogar eine Kamelie überlebt in vierter Generation, ein roter Rasenmähertrecker hält das Grün halbwegs kurz. Hängematte im Sommer und im Winter vorm Kamin: es ist kuschelig und gemütlich – und es ist meins. Und die Ridgeback-Hündin kennt inzwischen jeden Moorhasen beim Vornamen.

Das Jahr teilt sich nicht mehr in Monate, sondern in Phasen von pflanzen, ernten und abdecken. Ich habe viele verschiedene Gewerke beherrschen gelernt, mir Techniken für Wandgestaltung und Holzbearbeitung beigebracht. Das schützt auch vor Ebbe im Portemonnaie. Vor allem aber, ist mir klar geworden: das Landleben ist nichts für Weicheier. Ausdauer, Demut und ein Batterieladegerät sind unerlässlich, dann klappt’s auch mit der Romantik. Und wenn mir die Landluft doch mal zu viel wird, habe ich noch mein „pied-à-terre“ in der Stadt. Dieser Gastbeitrag zum Thema „Die neue Ländlichkeit“ kommt von Tatjana Gräfin Dönhoff. Tatjana ist Vollblut-Journalistin und Buchautorin. Sie hat u.a. für den Stern in Hamburg und den European in London geschrieben. Zu ihren Büchern gehören „Weit ist der Weg nach Westen“, „Die Flucht“ oder „Camilla“. Aufgewachsen in Tansania und Irland lebt sie schon seit vielen Jahren in Deutschland. Vor 15 Jahren wurde eine leerstehende Dorfschule zwischen Stade und Cuxhaven zum Kauf angeboten. Tatjana hat sich sofort verliebt und pendelt seitdem zwischen Hamburg und ihrem Landsitz, wo sie mit ihrer Firma „Brain Drain“ – neben ihren journalistischen Arbeiten – im Bereich Corporate Publishing arbeitet.