Fast ihr ganzes Leben hat die Journalistin Hilal Sezgin in Frankfurt gelebt. Eines Tages aber kündigt sie ihren festen Job und ihre Wohnung, um sich endlich einen Kindheitstraum zu erfüllen: Sie zieht aufs Land.

Freunde schütteln verwundert die Köpfe, sprechen sogar von Mut – als wäre dieser Entschluss, auf dem Land zu leben, eine Art Mutprobe oder als wäre ein Umzug aus der Stadt mit unersetzbaren Entbehrungen verbunden, wie beispielweise ein Leben ohne viele Menschen, kein spontaner Kino- oder Theaterbesuch, kein Café um die Ecke.

Das passende Haus findet Hilal am Rande eines 500-Seelen-Dorfes in der Lüneburger Heide, wo sie sich „nicht vorrangig auf eine Leben ohne, sondern auf ein Leben mit“ freut: ein Leben mit weitem Blick aus allen Fenstern, ein Leben mit den Jahreszeiten, (…) ein Leben mit Tieren“ – wobei sich letzteres doch etwas anders entwickelt als eigentlich gedacht.

Als freie Kulturjournalistin kann sie problemlos auf dem Land ihren Beruf ausüben und wenn nicht ab und zu mal der Hahn krähen würde, dann hätte der Gesprächspartner am anderen Ende des Telefons überhaupt keine Idee, wo sich denn gerade sein Gegenüber befindet. Ausnahme: Einmal stand die Autorin beim Telefonieren am Fenster als der Kaltblüter Ivo vom Nachbarhof schnaubend um die Ecke kam und direkt auf das Gartentürchen zutrabte. Da gab es keine Zeit mehr für ein „elegantes Schlusswort“.

„Landleben – Von einer, die raus zog“ ist ein Roman über das tägliche Leben der Autorin mit 3 Katzen, 40 Schafen, Gänsen und Hühnern, von langsam wachsenden Dorffreundschaften, gemeinsamen Festen zum Erntedank und dem Zusammenhalt, wenn eine Schafsgeburt nicht so verläuft wie es sein sollte und der Nachbar zu Hilfe eilt.

Ganz besonders gefühlvoll bechreibt sie den engen Kontakt zur Natur und was der mit „Stubenhocker und Stadtmenschen“ (so wie sie sich selber bezeichnet) macht. „Der Schnee lag dreißig Zentimeter hoch und war von Menschen unberührt. Noch nie (…) hatte ich so viel unberührten Schnee in einem menschenleeren Wald gesehen; (…) und hatte das Gefühl, allein für diesen kleinen Spaziergang habe sich der Umzug gelohnt.“

Vorrangig berichtet Hilal Sezgin allerdings über ihre Tiere, die sie teilweise vor dem Schlachthaustod rettet. Als bekennende Veganerin schildert sie auch die damit im Zusammenhang stehenden tierethischen Aspekte. Das geschieht gänzlich undogmatisch, aber mit interessanten Hintergrundfakten. So schildert sie ihre kritischen Beobachtungen in der Landwirtschaft und die schockierende Ernüchterung nach der Besichtigung eines anthroposophisch geführten Ökohofes.

Mit „Landleben – Von einer die raus zog“ will die neue Provinz-Bewohnerin keine Überzeugungsarbeit leisten. Die Geschichten sind amüsant und kurzweilig – aber auf anspruchsvollem Niveau. Statt das Landleben zu verklären, beschreibt sie ihren Alltag ohne Epos und Schönfärberei.

„Als ich noch in der Stadt lebte, klagte ich ständig darüber, aus dem Fenster auf triste andere Häuser zu sehen, jetzt bin ich umgeben von Natur und schaue freiwillig auf eine Kartoffelscheune.“

„Landleben – Von einer die raus zog“ – eine Autobiografie, in dem die Protagonistin – ehrlich aber nicht ohne Selbstironie – vom Verzicht auf gewohnte Bequemlichkeiten und einer neuen Form der Selbstbestimmung, von unerwarteten Problemen und gülleresistenten Gummistiefel erzählt. Ich habe es von der ersten bis zur letzten Seite geliebt, weil ich mich – da ich selbst auf dem Lande lebe – so gut darin wiederfinde.

Glückwunsch an Hilal Sezgin. Ein wunderbares Buch, das vielleicht Stadtmenschen nicht überzeugt auch auf’s Land zu ziehen, aber das glaubhaft beschreibt, warum es Stadtmenschen gibt, die das tun.

Klappentext

Sie traut sich, wovon andere träumen. Früher war Hilal Sezgin eine Stubenhockerin: Großstadt, Bürojob, am Wochenende schlief sie gerne aus. Heute hat sie nicht nur gülleresistente Stiefel, sondern auch Schafe, Ziegen, Gänse, Hühner und Katzen. Und vor allem: ein Haus auf dem Land.

„Landleben – Von einer, die raus zog“ v Hilal Sezgin. Erschienen 2011 bei Dumont. 270 Seiten.

Über die Autorin

Hilal Sezgin wurde 1970 in Frankfurt geboren. Sie ist Buchautorin und Journalistin, sie schreibt für Medien wie die „Zeit“, „Taz“ und Spiegel Online. Schwerpunkt ihrer publizistischen Arbeit sind der Islam, Feminismus – und Tierrechte. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Publizistin in der Lüneburger Heide und betreibt dort einen kleinen Lebenshof mit 40 Schafen, Ziegen, Hühnern und Gänsen. Sie selbst empfindet das Zusammenleben mit Tieren als Privileg.

Autor/Autorin: Hilal Sezgin – Titel: Nichtstun ist keine Lösung. Herbst 2017 – Copyright Barbara Fisan